Der kanadische Schriftsteller Alberto Manguel ist unter anderem bekannt durch seine Werke „Eine Geschichte des Lesens“ und „Die Bibliothek bei Nacht“. Jetzt hat er sich in einem bemerkenswerten Artikel in der New York Times zum Thema „Reinventing the Library“ geäußert. Darin betont er zunächst die Bedeutsamkeit schriftlicher Werke und ihrer Aufbewahrung für die Kultur der Zivilisationen, bei denen früher die Hauptgefahr in Feuer, Wasser oder der Bürokratie bestand.
Heute jedoch bestünde die größte Bedrohung in einem „falsch verstandenen“ Wandel: „Librarians today are forced to take on a variety of functions that their society is too miserly or contemptuous to fulfill, and the use of their scant resources to meet those essential social obligations diminishes their funds for buying new books and other materials.“ Bibliotheken seien weder Obdachlosenheime, eine Spaßveranstaltung noch ein Anbieter für soziale oder medizinische Dienste, auch wenn dies in einigen Bibliotheken längst so sei.
Manguel verurteilt zwar nicht die „neuen Dienstleistungen“ von Bibliotheken und nennt sie gut und nützlich, allerdings macht er auch deutlich: „If we change the role of libraries and librarians without preserving the centrality of the book, we risk losing something irretrievable.“ Damit befindet sich Manguel mitten in einer höchst aktuellen Diskussion: Liegt die Zukunft der Bibliotheken in interaktiven Angeboten, ihrer Rolle als Ort der Begegnung und der Kommunikation oder in ihrem „Markenkern“, den Büchern und den Medien? Ein sehr schönes Beispiel für diese Diskussion bietet auch der jüngst veröffentlichtes Artikel über die neue Bibliothek in Aarhus in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Titel „Und wo sind hier die Bücher“? Der Journalist Simon Strauss fragt darin (vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Bücher in Aarhus nicht im Vordergrund stehen) recht suggestiv: „Müsste nicht die Bibliothek der Zukunft ein Ort sein, der sich selbstbewusst von anderen unterscheidet, der darauf vertraut, dass die unmittelbare Begegnung mit dem gedruckten Buch (nicht nur, aber besonders) für Kinder gerade dadurch wieder ein Erlebnis wird, weil sonst schon so viel hinter dem allgegenwärtigen Display passiert?“
Vielleicht muss es aber auch überhaupt kein „entweder oder“ sein, sondern die sozialen, interaktiven und kommunikativen Funktionen der „neuen“ Bibliothek lassen sich mit dem klassischen „Markenkern“ verbinden? Eine spannende, internationale Auseinandersetzung, die uns sicher noch die nächsten Jahre intensiv begleiten wird und die die Fachwelt auch nicht notwendigerweise entzweien muss: Denn um die Erhaltung der Bibliothek als wichtiger Institution geht es beiden Seiten.
Link: http://www.nytimes.com/2015/10/24/opinion/reinventing-the-library.html?_r=0
Beitrag von Andreas Mittrowann